Fürchtet euch nicht

«Vo allne Ort zieht’s üs zu ihm», hiess es in der Hymne für den Weltjugendtag in Panama. Und so ist es auch wieder in Lissabon. Waren wir in der Diözesewoche noch etwa 120 Personen, so kommen wir am Montag der Hauptwoche nicht als Einzige bei unseren Unterkünften an: Wir sind etwa 400 Personen aus der Deutschschweiz und dürfen diese Woche in zwei Schulen hier in Lissabon übernachten. Ausgestattet mit dem Sackgeld für den Tag geht es auch schon los, der nächste Treffpunkt ist erst am Abend. In kleineren oder grösseren Gruppen entdecken wir nun diese Stadt der Seefahrer mit ihren steilen Strassen und gelben Trams. Als Erstes holen wir bei der Kirche, wo wir später noch die Messe feiern, den offiziellen Pilgerrucksack ab – ausgestattet mit einem Rosenkranz, einer Plastikflasche, einem Fischerhut und einem T-Shirt. Da es jetzt schon ziemlich heiss ist, suchen die einen die kühle Brise beim eindrücklichen Terreiro do Paço, dem grossen Platz gleich beim Hauptstadtfluss Tejo. Andere zieht es in die Cafés oder in die Kirchen und Museen Lissabons. Obwohl das offizielle Programm erst am Dienstag mit der Eröffnungsmesse beginnt, sind schon viele Pilgerinnen und Pilger in der Stadt unterwegs mit ihren Flaggen – die einen laut und auffällig, die anderen eher zurückhaltend. Man kommt leicht ins Gespräch und tauscht Pins mit den Flaggen der jeweiligen Länder oder Armbänder aus.

Die eine Turnhalle, in der wir übernachten, teilen wir uns mit anderen Pilgergruppen, u. a. aus Taiwan und Hongkong. Für viele von uns ist es ein Schritt aus der Komfortzone, hier eine Woche mit Schlafsack und Mätteli zu übernachten … oder auch mit den Gemeinschaftsduschen und der eher geringen Zahl an Toiletten. Doch wir lernen schnell, dass man beim Weltjugendtag vieles mit Humor nehmen und sich einfach von Tag zu Tag überraschen lassen muss. Ein Highlight sind die herzlichen Voluntários, die Freiwilligen, die am Dienstagmorgen schon unser Frühstück vorbereitet haben. Es ist der 1. August und so gehen wir alle gemeinsam zu einem Schweizer-Treffen, wo wir zusammen mit den Romandes und den Tessinern feiern.

Danach bilden wir wieder grössere oder kleinere Gruppen und geniessen die freie Zeit in Lissabon. Zum Zmittag können wir in einem der zahlreichen teilnehmenden Restaurants eine Pilgermahlzeit abholen. Am späteren Nachmittag steht dann auch schon die Eröffnungsmesse mit dem Patriarchen von Lissabon an. Ein Teil des Weges zum Park, wo die Messe ist, kann nur noch zu Fuss zurückgelegt werden – etliche Strassen und mehrere Metro-Stationen sind gesperrt – zusammen mit Hunderttausenden aus aller Welt strömen wir hin. Ein erstes Mal Weltjugendtags-Stimmung. Der Patriarch begrüsst die vielen Jugendlichen herzlich und betont, dass wir alle auf dem Weg sind, uns immer wieder auf den Weg machen sollen, so wie sich Maria auf den Weg zu Elisabet machte. Nach der Messe suchen wir in der Gruppe irgendwie einen Weg aus der Menschenmenge und irgendwo eine Pilgermahlzeit … vor den teilnehmenden Restaurants bilden sich lange Schlangen. Schliesslich geben wir auf und gönnen uns etwas in einem anderen Restaurant – das haben wir uns jetzt echt verdient!

Am Mittwoch geht das Weltjugendtags-Programm so richtig los, denn es steht das erste «Rise Up» auf dem Programm: Zusammen mit einigen Jugendlichen aus Deutschland dürfen wir für drei Tage in einer Pfarrei in Lissabon zu Gast sein für jeweils eine Katechese und eine heilige Messe mit einem deutschsprachigen Bischof. Auch Zeugnisse von jungen Gläubigen dürfen nicht fehlen! Bereits die erste Katechese mit einem österreichischen Bischof ist sehr lebendig – er spricht zu uns über Ökologie und dass wir alles vom Heiligen Geist inspiriert anpacken sollen. Am Mittag ist das offizielle Programm dann bereits wieder vorbei. Heute steht kein gemeinsamer Anlass mit allen anderen Pilgerinnen und Pilgern an, das heisst aber nicht, dass nichts los wäre! In verschieden grossen Gruppen machen wir uns einmal mehr auf, erkunden Lissabon und profitieren vom vielseitigen Programm: Es gibt Beichtgelegenheiten, Infostände von Ordensgemeinschaften, verschiedenste Konzerte und Aufführungen, eucharistische Anbetung …

Es ist bereits Donnerstag und heute dürfen wir endlich den Papst begrüssen! Doch zunächst gibt es wieder eine Katechese und eine Messe, diesmal mit unserem Schweizer Jugendbischof Alain de Raemy. Am Ende eines weiteren freien Nachmittags strömen wieder hunderttausende junge Erwachsene zum Park, wo bereits die Eröffnungsmesse stattfand. Papst Franziskus ist endlich da und wird gebührend willkommen geheissen: «Esta é a juventude do Papa!» Das ist die Jugend des Papstes! Mit wunderschönen Darbietungen – hier in Portugal darf der traditionelle Fado-Gesang natürlich nicht fehlen – feiern alle ein einziges grosses Fest, ganz friedlich, Weltkirche eben. Papst Franziskus richtet erste Worte an uns: Wir sind alle bei unserem Namen gerufen! Weil wir geliebt sind, wurden wir gerufen. Wie wir jetzt sind, sind wir geliebt. Wir sind für Gott keine Nummer. Jeder Einzelne von uns ist Jesus wichtig. Wir sind Sünder, ja. Aber wir sind alle gerufen, so wie wir sind. Gottes Liebe ist Überraschung, sie überrascht uns immer wieder. Gott liebt uns! Und die Kirche ist für alle. Alle.

Auch am Freitag gibt es wieder eine Katechese, diesmal mit einem Bischof aus Deutschland. Es geht besonders um die Beichte und Gottes Barmherzigkeit, und um die eucharistische Anbetung. So ist es ein grosses Geschenk, dass wir neben der Katechese und der Messe auch Zeit für die Anbetung und Beichtgelegenheit haben. Der Bischof und die Priester vor Ort stehen alle dafür zur Verfügung. Am Nachmittag machen alle, die wollen, sich gemeinsam auf Richtung Park, wo wir auf den Papst warten, um mit ihm den Kreuzweg zu beten. Das Warten lohnt sich, aus nächster Nähe sehen wir den Heiligen Vater neben uns vorbeifahren. Der Kreuzweg ist sehr berührend und ganz auf die heutige Lebensrealität von uns Jugendlichen und jungen Erwachsenen abgestimmt. Künstlerische Darbietungen und bewegende Zeugnisse umrahmen die gemeinsame Andacht. Viele von uns gehen heute früher schlafen, denn morgen steht bereits der Marsch zum Feld für das Abschlusswochenende an.

Heute stehen wir früh auf, denn es wird heiss und wir haben einige Kilometer vor uns. Ein erfahrener WJTler stellt uns davor noch darauf ein, dass es chaotisch werden könnte und auch darf: besonders nach dem Wochenende auf dem Weg zurück zur Unterkunft. Zu hunderten machen wir uns auf Richtung Abschlussfeld und können nach einer Weile die Essenspakete fürs Wochenende fassen: Fruchtsaft, Bagel, Kichererbsenpaste, Thunfisch, Würstchen … ziemlich portugiesisch, relativ gesund und auch genug, es kann also losgehen! Doch es zieht sich und die Sonne brennt gnadenlos. Stundenlang sind wir unterwegs. Schwierig wird es, als auf der gesperrten Strasse links von uns alles flüssig läuft, während es bei uns einfach nicht mehr vorwärtsgehen will. Es gibt Gummibärchen zur Stärkung, Rosenkränze werden gebetet, ein Mönch legt sich am Wegrand eine Weile hin. Dann endlich bewegt sich die Masse weiter und schon bald können wir das Abschlussfeld betreten. Endlich gibt es Platz, und was für eine Aussicht! Gleich neben dem Meer gehen wir an riesigen Bildschirmen und Lautsprechern vorbei zu unserem Sektor, der ziemlich nah an der Hauptbühne ist. Was für ein Glück wir haben! Die französische Reggae-Band Les Guetteurs, die schon am WJT in St.Gallen zu Gast war, sorgt derweil für die richtige Atmosphäre. Wir finden unseren Platz und machen es uns gemütlich als Schweizer Gruppe: Mätteli werden platziert, Sonnenschirme und Klappstühle aufgestellt, Konserven geöffnet – Festival-Feeling halt.

Die Stunden vergehen, die Sonne geht unter und noch immer ist es heiss: Ausgerechnet auf dieses Wochenende kam eine Hitzewelle. Ruhe sucht man hier auch vergebens. Das Programm beginnt mit Schiffen, die die Weltjugendtags-Symbole zum Abschlussgelände bringen. Das Highlight des Tages ist dann aber die Vigil mit Papst Franziskus. Er sagt uns: Die Freude ist missionarisch! Man darf nur auf jemanden herunterschauen, um ihn/sie aufzurichten. Nur etwas ist gratis im Leben: die Liebe Jesu. Lasst uns ohne Furcht vorangehen!

Während der eucharistischen Anbetung bleiben die 1,5 Millionen versammelten jungen Leute für etwa fünf Minuten still. Der ganze Festival-Trubel verstummt für eine kurze Atempause, in der sich alle Blicke auf Jesus richten. Er ist der Grund, wieso wir uns alle hier versammelt haben. Nach der Vigil gehen einige schlafen, andere feiern noch. Wir treffen alte Bekannte und es entstehen neue Freundschaften.

Es ist Sonntagmorgen und wir werden von einem Priester geweckt, der als DJ erst mal eine halbe Stunde auflegt – am Weltjugendtag gibt es nichts, was es nicht gibt. Nach dem Frühstück steht dann auch bald schon die Abschlussmesse mit Papst Franziskus auf dem Programm. Es ist eine wunderschöne Liturgie und der Heilige Vater sagt in seiner Predigt: Es ist gut, dass wir hier sind. Die Kirche und die Welt brauchen die jungen Leute, wie die Erde den Regen braucht. Ihr sollt leuchten, zuhören und euch nicht fürchten. Wir beginnen zu leuchten, wenn wir wie Jesus lieben. Hört auf Jesus! Er hat Worte des ewigen Lebens. Er zeigt uns, dass Gott unser Vater ist und dass er Liebe ist. Er zeigt uns den Pfad der Liebe. Steht auf und fürchtet euch nicht! Liebe Jugendliche, ich würde gerne jedem und jeder von euch in die Augen sehen und euch sagen: Fürchte dich nicht! Fürchte dich nicht. Ich sage dir etwas sehr Schönes: Jesus schaut dich jetzt an, in diesem Moment. Er kennt dich, er kennt dein Herz. Er kennt dein Leben. Er kennt deine Freuden, deine Sorgen, deine Erfolge und deine Niederlagen. Er kennt dein Herz und er sagt dir jetzt hier an diesem Weltjugendtag: Fürchte dich nicht. Fürchte dich nicht. Nur Mut! Fürchte dich nicht.